Zeitschrift-Artikel: "Wir kommen auch mit Weisskohl,Brot und Kartoffeln durch den Winter"

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Titel: "Wir kommen auch mit Weisskohl,Brot und Kartoffeln durch den Winter"
Typ: Artikel
Autor: William MacDonald
Autor (Anmerkung):

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Titel

"Wir kommen auch mit Weisskohl,Brot und Kartoffeln durch den Winter"

Vortext

Text

EINDRÜCKE EINER SIBIRIENREISE

"Hallo Wolfgang! Wir haben ein phantastische Möglichkeit bekommen, mit Tansportflugzeugen der russischen Armee etwa 300 Tonnen Hilfsgüter direkt nach Nowosibirsk/Sibirien zu fliegen. Nun haben wir leider keine Kontakte zu irgendwelchen Christen in Nowosibirsk. Kennst Du jemand, der uns da weiterhel­fen kann?"

Am anderen Ende des Telefons sprach Bernd Schnei­der aus Weitefeld, der schon seit vielen Jahren gemein­sam mit Lothar Schäfer viele Hilfstransporte nach Rumänien organisiert hat.
Angesichts der Not in der UDSSR hatten nun viele Versammlungen Gaben zur Verfügung gestellt, um einen Transport mit Lebensmitteln, Literatur und son­stigen Hilfsgütern möglich zu machen.
Nun, ich kannte jemand, der uns weiterhelfen konnte: drei Meter entfernt von mir stand am Packtisch unser Mitarbeiter David, dessen Heimat Nowosibirsk ist.
"Interessant, wie man die Führung Gottes praktisch erleben kann", dachte ich.
So kam es, daß wir einige Wochen später, am 10.1.91, im Fluzeug saßen, um über Berlin und Mos­kau nach Nowosibirsk zu fliegen. Außer David war auch noch Viktor dabei, dessen Heimat ebenfalls Sibi­rien ist.
Wir fühlten uns wie die Kundschafter, die zwar nicht das verheißene Land, sondern eine etwas kältere und ärmere Region erkunden sollten:
" ...Und steiget auf das Gebirge und besehet das Land, wie es ist; und das Volk, das darin wohnt, ob es stark oder schwach, ob es gering oder zahlreich ist... und wie das Land ist, ob es fett oder mager ist..."
(4. Mo. 13, 17-20).

Das Bewußtsein, daß unsere Familien und viele Geschwister für uns um Führung und Bewahrung beteten, machte uns getrost.
Unsere Aufgabe war, Kontakt mit den Gemeinden dort aufzunehmen, festzustellen, was an Nahrungsmit­teln, Hilfsgütern und Literatur benötigt wurde und den Abtransport, die Lagerung und Verteilung dieser Güter vorzubereiten.
Etwa acht Stunden später, um 15 Uhr, befanden wir uns in Moskau, wo wir von einem ca. 100 km entfernten nationalen Flughafen kurz vor Mitternacht weiterflie­gen sollten.

Wir wurden sofort von privaten Taxifahrern empfan­gen, die ihre Dienste anpriesen und wir entschieden uns für das günstigste Angebot.
Etwas mulmig war uns schon zumute, als wir in dem klapprigen Lada saßen und uns einem verwegen aus­sehenden Fahrer anvertrauten, der uns zudem noch seine Fahrkünste auf vereisten Straßen zu demonstrie­ren schien. Schließlich hatte man ja schon einiges von den chaotischen Verhältnissen in Moskau gehört, von Raubüberfällen, Maffia...
Entgegen allen heimlichen Befürchtungen erreichten wir tatsächlich unser Ziel und der Taxifahrer brannte auch nicht mit unserem Gepäck durch, nachdem er noch zusätzlich ein Päckchen Kaffee für seine Frau bekom­men hatte, Morgens um 8 Uhr trafen wir nach einer schlaflosen Nacht endlich in Nowosibirsk ein; meine beiden Freunde in der freudigen Erwartung, nach 14 Jahren wieder ihre alte Heimat zu sehen und ich mit der Entschlossenheit, zunächst einmal der sibirischen Kälte zu trotzen. Allerdings wurde ich ernüchtert, die Tem­peratur betrug nur - 13°C und stieg im Lauf der Tage sogar auf Werte um 0°C an.
Am Flughafen wurden wir von Jakob Kröker abge­holt, einem Vater von acht Kindern, der in seiner freien Zeit als Evangelist in Sibirien unterwegs ist. Er brachte uns zu unseren Gastgebern Viktor und Nadja, einem jungen Ehepaar, die für ihre große Wohnung incl. Heizung nur 20 Rubel pro Monat zu zahlen brauchen.
Zeit zum Ausruhen blieb kaum, denn mittags erwar­teten wir die verantwortlichen Brüder der verschiede­nen Gemeinden der "Evangeliumschristen-Baptisten", mit denen wir in dieser Sache zusammenarbeiten woll­ten. Zwar hatte man uns in Deutschland bereits prophe­zeit: "Die kriegt Ihr doch nicht alle an einen Tisch... " , aber schließlich saßen wir doch alle zusammen, konn­ten zusammen beten und die ganze Aktion planen.
Obwohl wir uns bisher nicht kannten, entstand sofort eine herzliche Verbundenheit und wir spürten etwas von dem Segen der Gemeinschaft der Kinder Gottes.
Bereits am selben Abend besuchten wir die Versamm­lung der "nichtregistrierten" Gemeinde und an den folgenden Tagen konnten wir jeweils die Versammlun­gen der "autonomen" und "registrierten" Gemeinde kennenlernen und viele Eindrücke über die Versor­gungslage und geistliche Situation sammeln.


DIE VERSORGUNGSLAGE

Da die bisherigen Hilfsaktionen fast nur den westli­chen Teil der UDSSR erreichten und nun zum ersten Mal die Möglichkeit bestand, große Mengen an Lebens­mitteln ohne LKW nach Sibirien zu transportieren, interessierte uns die Situation der Lebensmittelversor­gung besonders.
Entgegen allen Informationen im Westen wurde uns deutlich gemacht, daß man von einer Hungersnot im eigentlichen Sinn nicht reden kann. Natürlich gibt es die meisten Lebensmittel nur auf Karten (pro Person und Monat 100 ml Öl, 250 Gr. Nudeln, 1 kg Wurst, 250 Gr. Margarine, 1 kg Zucker, 10 Eier usw.)
Doch Brot, eingemachtes Gemüse und Obst sowie Kartoffeln sind ausreichend vorhanden. Die Lebens­mittelläden fallen durch leere Regale auf, aber immer­hin kann man doch irgendwelche Fische, Kohlköpfe und Mehlprodukte kaufen, auch wenn die Auswahl nicht vorhanden ist und man manchen Laden aufsuchen muß, um seine Einkaufstaschen zu füllen. Die Men­schen, die wir trafen und kennenlernten, machten keinen ausgehungerten Eindruck und Berichte wie letztens in "Idea", daß Kinder im Müll herumstochern, um eßbare Lebensmittelreste zu suchen, sind erfunden. Natürlich ist Mangel da, es gibt keine Auswahl und Medikamente bekommt man kaum oder nur durch Bestechung. Ersatzteile und technische Geräte kann man fast nur auf dem Schwarzmarkt oder mit West-Währung bekommen. Nach westlichen Maßstäben ge­messen würde man von Armut sprechen, aber unsere etwas anspruchsloseren Geschwister dort sagten uns:
"Wir kommen auch mit Wehkohl, Brot und Kartoffeln durch den Winter, deshalb schickt uns vor allem Bibeln, Literatur und Hilfsmittel zur Evangelisation. "


DIE GEISTLICHE SITUATION

Ohne Zweifel sind in der UDSSR die Türen für das Evangelium weit offen. Die Nachfrage nach Bibeln und christlicher Literatur ist sehr groß. Die Christen ma­chen Straßeneinsätze und sind in Gefängnissen und Krankenhäusern willkommen. Auch in den Versamm­lungen bekehren sich immer wieder Menschen, auffal­lend oft Akademiker und gebildete Menschen. Brüder der "nichtregistrierten" Gemeinde berichteten, daß sie im vergangenen Jahr etwa 160 Bekehrungen und 35 Taufen erlebt haben!
Sie führen auch eine originelle Arbeit mit Büchern durch, die für uns kaum vorstellbar ist:
Am Samstag führte uns Jakob Kröker zur "Metro", der U-Bahnstation mitten in der Stadt. Dort unter der Erde, vor Schnee und Wind geschützt, hatten einige Geschwister einen Tapeziertisch aufgebaut, auf dem etwa 50 verschiedene Bücher lagen. Der Tisch war umlagert von vielen Menschen, die äußerst interessiert in den Büchern blätterten. Diese Bücher konnten nicht gekauft, sondern nur ausgeliehen werden. Zu diesem Zweck mußte man seinen Personalausweis zeigen, wurde in eine Kartei eingetragen und konnte das Buch für ein oder zwei Wochen ausleihen.
Auf diese Weise hatten die Geschwister 1600 Adres­sen gesammelt, zu denen sie Kontakte knüpfen können.
Besonders begehrt ist die Kinderbibel: auf der War­teliste stehen über 150 Personen, die sich darauffreuen, irgendwann für einige Tage dieses Buch ausleihen zu dürfen!


Daher wunderten wir uns nicht, als auf der "Wunsch­liste" unserer Geschwister Kinderbibeln, Bibeln und evangelistische Literatur an oberster Stelle standen. Die Christen selbst benötigen dringend weiterführende Literatur. Bibelauslegungen, praktische, seelsorgerli­che Lebenshilfen und apologetische Bücher sind ange­sichts der Aktivitäten von Sekten und Gruppen aller Schattierungen sehr gefragt.
Neben der Evangelisation ist die Unterweisung von Christen das Gebot der Stunde. Besonders bei jungen Christen erkennt man viel Einsatzfreude für evangeli­stische Aktionen usw. aber relativ wenig Begeisterung für Bibelstudium, weil vielfach die Anleitung fehlt und das Interesse geweckt werden muß.
Es entstehen sehr viele Hausbibelkreise, besonders durch die Arbeit der "Westsibirischen Mission". Alex­ander, der Leiter dieser Mission, hat bis vor kurzer Zeit als Dozent für Informatik an der Akademie in Nowosi­birsk gearbeitet und berichtete von vielen Bibelkreisen unter den Studenten. Sein Wunsch war, je 1.000 Bücher der drei Bände "Training im Christentum" in russ. Sprache für die Nacharbeit zu bekommen.
Unsere Frage und Sorge war, ob die vielen Leute, die zum Glauben kommen, auch Aufnahme in den Gemein­den finden und dort in jeder Beziehung eine geistliche Heimat finden. In Sibirien gibt es neben den orthodoxen Kirchen, einigen Lutheranern vor allem Pfingstge­meinden und eben die Evangeliumschristen-Baptisten, die zahlenmäßig sicher die größte Gruppe der Evange­likalen ausmachen.
Diese Geschwister sind aber in ihrer Struktur, Tradi­tion und Theologie nicht mit den westlichen Baptisten zu vergleichen.
"Brüderversammlungen" wie hier im Westen kennt man in der UDSSR nicht, obwohl einzelne "Brüder" wie F.W. Bädecker um die Jahrhundertwende deutliche Segensspuren hinterlassen haben. Auch der Einfluß der Scofield-Bibel in russ. Sprache hat dafür gesorgt, daß viele Christen mit der heilsgeschichtlichen Auslegung der Bibel vertraut sind.
Schade ist, daß die Evangeliumschristen-Baptisten in drei Gruppen gespalten sind und teilweise ein gespann­tes Verhältnis zueinander haben. Geistlicher Stolz, mangelnde Bußbereitschaft über ungeistliche Kompro­misse in der Vergangenheit, Zentralismus, Vermi­schung usw. sind dort wie auch hier bei uns Gründe, warum Geschwister, die zusammengehören, nicht zu­sammenkommen. Dadurch wird die geistliche Stoß­kraft und auch das Zeugnis nach außen geschwächt. Umso dankbarer waren wir, daß wenigsten in dieser Hilfsaktion alle zur gemeinsamen Arbeit bereit waren und unser Gebet ist, daß gerade bei der Verteilung von Gütern alle lernen, frei von Eigennutz das Wohl des anderen zu suchen.


DIE POLITISCHE SITUATION


Während wir in Sibirien waren, fanden die blutigen Ausschreitungen im Baltikum statt. Wir haben davon kaum etwas erfahren. Auch als wir am Montag der Abreise in Moskau Zeit hatten, einen Abstecher zum "Roten Platz" zu machen, ahnten wir nicht, daß hier ein Tag vorher eine große Demonstration stattgefunden hatte.
Die Russen - so sagte man uns - haben im allgemei­nen wenig Interesse an Politik und müssen erst einmal lernen, demokratisch zu denken und zu leben.
Als nach dem "Krieg der Fahnen", dem anschließen­den "Krieg der Zeitungen" der "Krieg der Denkmäler" begann und auch Lenin hier und da vom Sockel gehauen wurde, sagten einige Bürger (so ein ukrainischer Journalist): "Ob auf dem Sockel Lenin, Stalin oder Hitler steht, ist mir egal, Hauptsache die Regale in den Lebensmittelläden sind voll!"
Deutlich wurde uns auf jeden Fall, daß man kein Vertrauen zur jetzigen Regierung hat und man einen Rückschritt in die Diktatur für möglich hält.


WAS KÖNNEN WIR TUN?

Inzwischen haben wir alle mitbekommen, daß im Kreml ein anderer Wind weht und es ist nicht abzuse­hen, wie lange die Türen für das Evangelium offen bleiben. Wir sollten auf jeden Fall die momentanen Freiheiten nutzen und vor allem solide evangelistische und weiterführende Literatur in russischer Sprache auflegen und in die UDSSR senden.
Auch Gemeindebesuche sollten wir nicht nur Charis­matikern überlassen, die z.Zt dort für große Verwir­rung sorgen, sondern lehrfähige Brüder, die ein Herz für den Herrn und Seine Gemeinde dort haben, sollten sich auf die Reise machen, um das geistliche Leben in den Versammlungen zu stärken.
Sie werden reich beschenkt und beschämt von der Aufnahmebereitschaft und der für uns unvorstellbaren Gastfreunächaft der Geschwister zurückkehren. Zur Zeit fliegt bis Mitte März jede Woche ein Flugzeug jeweils mit ca. 40 Tonnen Ladung nach Nowosibirsk. Tausende von Bibeln, evangelistischen und weiterfiih­renden Büchern sind unterwegs. Große Mengen von Lebensmitteln sollen vor allem in Verbindung mit evangelistischer Literatur und einem Zeugnis für Chri­stus an Ungläubige weitergegeben werden.
Bitte betet dafür, daß diese Transporte von Hilfsgü­tern sowohl den Christen als auch denen, die in Verbindung damit das Evangelium hören, zum reichen Segen sind und alle Arbeit zur Ehre unseres Herrn geschieht.

Nachtext

Bisher sind in russischer Sprache folgende Bücher beim CLV erschienen, die auch bei uns bezogen werden können:
Jean Gibson: Training im Christentum, Band 0,1,2
W. McDonald: Christus und die Gemeinde

Im Druck befinden sich:
W. Gilt: Wenn Tiere reden könnten
W. Busch: Jesus unser Schicksal
W. Bühne: Spiel mit dem Feuer

Quellenangaben